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Begegnung der seltenen Art

Ein kleiner, brauner Teddybär tappte durch den Winterwald. Es war einer von sehr hellem Braun, ein ganz lieber, zotteliger Genosse mit dicken Tatzen und großen, runden Ohren. Wenn du nun denkst, dass das nicht möglich ist, weil ein Teddybär nur ein Teddybär ist, also ein lebloser Gegenstand, der nur irgendwo herumliegen kann und deshalb gar nicht durch einen Wald zu tappen vermag, weil Teddybären nun mal nicht über ihr Teddybärenimage hinauskönnen, dann irrst du dich! Ein Teddybär kann sehr wohl durch den Wald tappen (selbst einer von sehr hellem Braun) und zwar dann, wenn es Menschen gibt, die niemals sagen würden, dass es sowas nicht gibt. Es auch nicht so denken oder empfinden. Der kleine Teddybär (von sehr hellem Braun) tappte also gemütlich vor sich hin, während der Tag sich seinem Ende zuneigte.

Die Schneeflocken fielen sehr dicht und die Bäume waren schon über und über bedeckt von einer flauschig-weißen Schicht. Der kleine Bär war traurig, doch wusste er nicht, dass das, was er verspürte, von den Menschen Traurigkeit genannt wurde. Er steckte eine Tatze tief in den Schnee und zog sie gleich darauf entsetzt wieder zurück, als er feststellte, dass die weiße Masse nicht so warm und kuschelig war, wie sie aussah. "Brumm", sagte er und schüttelte die Flocken, die sofort kalt durch sein Tatzenfell drangen, ab. Ihm war nicht bewusst, dass er brumm gesagt hatte und auch nicht, dass ihm jemand dabei zuhörte. Doch nun sah er ihn, den großen, schwarzen Raben, der vor ihm auf einem Baumstumpf saß, den Kopfschräggelegt hatte und ihn bewegungslosbeobachtete.
"Brumm", sagte der kleine Bär wieder, doch diesmal bewusst und um den Raben - von dem er nicht wusste, ob er gefährlich für ihn war oder nicht - zu begrüßen.

"Warum bist du so traurig, kleiner Bär", krächzte der Rabe, und der kleine Bär ballte seine kleinen Tatzen zu Fäusten und rieb sich damit sein Bärenschnauzi, schaute den Raben an und fragte leise: "Was ist traurig?".

Der Rabe schien zu überlegen, verdrehte die Augen zum Himmel und stieg auf seinen Rabenfüßen hin und her. "Traurig ist, wenn man so dreinschaut wie das kleine Mädchen, das mir jeden Tag Nüsse aufs Fensterbrett gestreut hat. Sie hat immer mit mir gesprochen, mich ihren lieben schwarzen Raben genannt. Ihr Lächeln war für mich das Schönste auf der Welt. Glaub mir, kleiner Teddybär, wenn einem das Schönste, das man auf der Welt hat, genommen wird, weiß man, was Traurigsein heißt.
Ja, auch ich bin traurig, genau wie du und genau wie das kleine Mädchen, das mein Ein und Alles war".
Der kleine Bär, der sich immer noch sein Schnauzi rieb, um seine Tatzen plus Schnauzi warm zu halten, hatte die Ohren gespitzt und hörte dem Raben aufmerksam zu.

"Eines Tages kam das kleine Mädchen wieder ans Fenster, doch ihre Wangen waren nicht mehr so rosig wie sonst, auch ihre Augen, die sonst immer wie Sterne strahlten waren auf einmal matt und glanzlos. Doch das Schlimmste war, dass ihr Lächeln verschwunden war. Wenn sie mit mir sprach, war ihre Stimme nur noch leise und dumpf, nicht mehr hell und klingend wie vorher. Dicke Tränen rollten über ihr Gesicht und mein ganzes Rabendasein schien mir auf einmal nur noch rabenschwarz und nicht mehr lebenswert zu sein, als ich sie so sah."

Der Rabe schüttelte sein Gefieder und man sah, dass ihm kalt war, doch in seinen Augen glühte etwas, das der Schnee und die Kälte nicht abzukühlen vermochte.

" 'Brummel ist fort', hatte das Mädchen gesagt,    'Papa hat ihn weggenommen. Es war doch so schön, dass Mama endlich wieder gelacht hat, wir haben zusammen gelacht und Mama hat gesagt, dass nun alles anders wird und wir viele schöne Dinge machen werden. Doch auf einmal war da Papa mit Brummel unterm Arm und hat meinen lieben Teddy auf den Boden geworfen und auf ihm herumgetrampelt. Ich habe noch geschrien und gefragt, was Brummel ihm denn getan hat, doch Papa trampelte immer weiter auf ihm herum und warf ihn irgendwann böse aus dem Fenster...'.
Sie hat bitterlich geweint und wenn ich Hände gehabt hätte, hätte ich sie gestreichelt. Doch da ich eben nur ein Rabe bin, habe ich gekrächzt und gehofft, dass sie versteht, wie ich es meine. Ein wenig hatte ihr Weinen auch wirklich abgeebbt und hoffte ich, dass alles wieder gut werden könnte, doch da sah ich den Besen, mit dem jemand nach mir schlug und flatterte um mein Leben....".
Und wieder flatterte der Rabe, diesmal so heftig, dass ein paar schwarze Federn sich lösten und durch die Luft flogen, bis sie im frischen, strahlenden Schnee liegenblieben.

"Niemand kann jemals mehr verlieren als dieses kleine Mädchen, das für schlimme Zeiten immer noch den Freund Brummel hatte, den kleinen, hellbraunen Teddybären, doch auf einmal war auch er nicht mehr da...... Kein Wunder, dass sie so sehr traurig war, niemand kann jemals so viel verlieren wie ........",
auf einmal erstarrte der Rabe und sagte kein Wort mehr. Der Schnee fiel noch lange in dicken, weißen Flocken vom Himmel, bis der ganze Wald in tiefstem Winter lag. Längst war die Nacht hereingebrochen und alle Lebewesen, außer dem Teddybären und dem Raben, schliefen fest. Der Rabe sprach von da an kein Wort mehr, schwieg nur noch sein ganzes Rabendasein lang und keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Auch den kleinen Teddybären von sehr hellem Braun hat nie wieder jemand gesehen.

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